Gero P. Weishaupt
                                                            Gero P. Weishaupt                                                                                       

Latein und Kirchenrecht

 

Latein ist nach wie vor die Sprache der Katholischen Kirche. Wenngleich in der Liturgie nach dem Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. Sacrosanctum Concilium, Art. 36, 54, 101) der jeweiligen Landessprache ein breiterer Raum zugebilligt werden soll, tritt als Sprache des Kirchenrechts weiterhin das Latein ausschließlich in Erscheinung. Abgesehen von einzelnen Rechtsvorschriften frühchristlicher Synoden und Konzilien sind alle Quellen des Kircherechts in Latein verfaßt.

 

Latein war die Sprache des Imperium Romanum

 

Dadurch dass das Zentrum der Katholischen Kirche Rom wurde, kam es zwischen der Katholischen Kirche und der römischen Kultur zu einer Symbiose. Die Kirche schöpfte bei ihren Rechtsbestimmungen vielfach aus den Quellen des Römischen Rechts. Dass sie dabei auch die lateinische Rechtssprache übernahm, war geradezu selbstverständlich. Päpstliche Dekrete wurden auf Lateinisch verfaßt. Auch nach dem Aufkommen der Nationalsprachen im frühren Mittelalter blieb Latein die Sprache des Kirchenrechts. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Latein die Sprache des Kanonistik, also der Wissenschaft vom Kirchenrecht. Latein ist die Sprache des Gesetzbuches (Codex Iuris Canonici).

 

Authentischer Text

 

Nur der lateinische Text des Gesetzbuches (CIC/1983) ist der authentische Text. Er bildet die Grundlage für die kirchenrechtliche Forschung, die Interpetation und Anwendung in der kirchlichen Rechtsprechung und Verwaltung. Auch wenn Übersetzungen des kanonischen Gesetzbuches nützlich sind und jenen Zugang zu den Gesetzestexten der Kirche verschaffen, die des Lateins nicht mächtig sind, stoßen sie dennoch, so treu wie möglich sie den lateinischen Urtext auch nachahmen, naturgemäß auf Grenzen. Übersetzungen sind immer Interpretationen des ursprünglichen lateinischen Textes.

 

Argumente für die Beibehaltung des Lateins als Sprache des Kanonischen Gesetzbuches (Codex Iuris Canonici)

 

Das Erfordernis der lateinischen Sprache für kirchenrechtliche Texte liegt einerseits in der klaren, prägnanten und präzisen Begrifflichkeit und den Ausdruckmöglichkeiten, die dieser Sprache eigen sind, wodurch sich auch schon das Römische Recht auszeichnete, andererseits in der Einheitlichkeit der Sprache eines Gesetzbuches, das für die Weltkirche bestimmt ist. "Die gleichberechtigte Verwendung der wichtigen modenen Sprachen als Sprachen des kirchlichen Rechtes würde die Gefahr einer unerwünschten Auseinanderentwicklung der Rechtsordnung mit universaleinheitlichem Geltungsanspruch in sich tragen. Die Verwendung nur einer modernen Sprache als Sprache der gesamtkirchlichen Gesetzgebung, etwa des Englischen oder des Spanischen, würde eine Bevorzugung einiger Völker, um deren Sprache es sich handelt, gegenüber den übrigen bedeuten. Das Latein als sogenannte 'tote Sprache' bevorzugt dagegen niemanden und hält die Einflußnahme säkulärer zeitgenössischer Rechtskulturen auf die Interpretation des kanonischen Rechts, die sich mit der Verwendung einer oder mehrerer moderner Sprachen stillschweigend ergeben würde, in Grenzen" (Stephan Haering, "Lateinische Sprache und Kanonisches Recht", in: Seminarium 1-2, Città del Vaticano 2003, 244). Weil die lateinische Sprache sich also auszeichnet durch Klarheit, Prägnanz, Präzision und Universalität,  ist sie für das kanonische Recht so geeignet.

 

Notwendigkeit der Kenntnis des Lateins für den Kanonisten

 

Das Kirchenrecht begegnet uns also im Medium der lateinischen Sprache. Ohne die lateinische Sprache können rechtliche Begriffe und Tatsachen nicht vermittelt und adäquat verstanden werden. "Solche Einsichten können denjenigen, der sich mit Recht befaßt, nicht unberührt lassen. Wer das Recht studiert und mit dem Recht umgeht, muß sich immer bewußt sein, daß Recht sprachlich vermittelt wird. Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, daß ein Rechtskundiger der Sprache als Medium des Rechts mit Aufmerksamkeit begegnen und im Umgang mit der Sprache besondere Kompetenz besitzen muß. ... Wenn ... die Rechtsquellen in einer fremden Sprache abgefaßt sind, ist es dringend erforderlich, daß der Rechtskundige fähig ist, mit den fremdsprachigen Quellen umzugehen und deren Inhalt treffend zu erfassen" (Stephan Haering, "Lateinische Sprache", 237).

 

Nachholbedarf an den Fakultäten und Instituten für Kanonisches Recht

 

Es leuchtet somit ein, daß die Kenntnis der lateinischen Sprache für den Kanonisten, sei es als Wissenschaftler in Universität und Forschung, sei es als Anwender des Rechts in Rechtsprechung und Verwaltung, unerlässlich ist. Die Vertiefung in die lateinische Sprache und eine Einführung in die spezifisch kanonistische Begriffswelt ist darum wesentlicher Bestandteil des Studiums des Kanonischen Rechts. Die Verkürzung der Gymnasialzeit, die Ausdehnung des Unterrichts auf moderne Fremdsprachen, die zunehmend naturwissenschaftliche Ausrichtung der Schulen haben zu einer Zurückdrängung des altsprachlichen Unterrichts (Altgriechisch und Latein) geführt. Die Folge ist, dass Studierende der Theologie im allgemeinen und des kanonischen Rechts im besonderen an den Universitäten die für das Studium erforderlichen altsprachlichen Kenntnisse nachholen oder vertiefen müssen.

 

Neuordnung der Studienordnung für Kanonistik mit besonderer Berücksichtigung der lateinischen Sprache

 

Dieser Umstand und der Mangel an philosophischer und theologischer Kenntnisse bei nicht wenigen Studenten des Kanonischen Rechts führte im Jahre 2002 zu der Notwendigkeit einer Neuordnung des Studiums der Kanonistik. Die Bildungskongregation erließ mit Datum vom 2. September 2002 ein Dekret, in dem das Lizentiatsstudium für Kirchenrecht von zwei auf drei Jahre (sechs Semester) ausgedehnt wurde (vgl. DECRETUM Novo Codici der Congregatio de Institutione Catholica quo ordo studiorum in Facultatibus Iuris Canonici innovatur, in Seminarium 1-2 [2003] 39-44). In allen drei Studienjahren soll dem Latein durch Wiederholung und Vertiefung der Grammatik und der Syntax, das Übersetzen von Rechtsquellen aus der Kirchenrechtsgeschichte sowie den Umgang mit Dokumenten der Römischen Kurie, d.h. vor allem mit den Sentenzen der Römischen Rota, der Rechtsprechung der Apostolischen Signatur und den Schreiben der verschiedenen römischen Dikasterien, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ohne profunde Kenntnisse und Beherrschung des Lateins ist die Zulassung zum Doktoratsstudienjang im Kanonischen Recht, bei dem die Arbeit und die Auseinandersetzung mit lateinischen Quellentexten erwartet und vorausgesetzt wird, völlig ausgeschlossen.

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